Eine falsche Erinnerung?
Ja, vor allem wenn sie in einer Therapie vermeintlich «wieder- entdeckt» wurden und es vorher keinerlei eigene Erinnerung gegeben hatte. Die Theorie von einem abgespalteten Trauma-Gedächtnis, das erst wieder zugänglich gemacht werden müsse, ist zwar noch weit verbreitet, aber durch vielfältige klinische Forschung widerlegt. Traumatische Erlebnisse werden gerade nicht vergessen, sondern quälen durch ihre Allgegenwart. Kritische Rückfragen sind also nötig:
- In welcher Situation wurden diese Schilderungen das erste Mal geäussert?
- Wurde gezielt nach «verdrängten traumatischen Erlebnissen» geforscht?
- Wusste die Person über Jahre oder Jahrzehnte von rein gar nichts, und auf einmal äussert sie immer umfassendere Vorwürfe?
- Wurde aufgrund unspezifischer Symptome auf einen Missbrauch zurückgeschlossen?
- Könnte eine psychische Erkrankung diese «Erinnerungen» hervorgerufen haben? Damit wäre die Erkrankung deren Ursache statt ihre Folge.
Jeder Mensch kann falsche Erinnerungen produzieren. Das Gedächtnis ist keine Festplatte, die Vergangenes unveränderlich festhielte. Jede Erinnerung ist eine Rekonstruktion, und jedes Mal mischen sich gegenwärtige Stimmungen und Bedürfnisse mit vergangenen Eindrücken. Die Empfänglichkeit für diese neuen Bilder steigt mit der Autorität dessen, der sie einem nahelegt. Je intensiver zudem entsprechende Berichte oder Bilder von Dritten wirken, desto leichter überträgt man sie auf die eigene Person. Wenn solche Anschuldigungen also nicht auf ihre Faktizität hinterfragt werden, haben sie verheerende Folgen: Familien zerbrechen darüber, einzelne Menschen – sehr oft die Väter – werden persönlich und beruflich ruiniert, und Gerichte haben schon verhängnisvolle Fehlurteile gefällt.